Die Vorgeschichte der Gemeinde im 19. Jahrhundert

Am 27. Juli 1880 wurde der erste Pfarrer zu Isenstedt-Frotheim, Paul Siebold, hier in sein Amt eingeführt.

Vor diesem Zeitpunkt gehörten Isenstedt und Frotheim zusammen mit Gehlenbeck, Eilshausen und Nettelstedt zu einem Kirchspiel, dessen Kirche und Pfarrhaus in Gehlenbeck standen. In Isenstedt gab es von alters her eine Kapelle. Sie hat zuerst im Isenstedter Dorf gestanden. Später ist sie neben der alten Schule neu erbaut worden. In ihr fanden wahrscheinlich zweimal im Jahr Abendmahlsfeiern für die Alten und Kranken statt. Sonst aber wurden nur Lesegottesdienste durch den Lehrer gehalten. Zu allen Gottesdiensten, Taufen und Trauungen musste man nach Gehlenbeck gehen. Auch die Kinder mussten dort hin zum kirchlichen Unterricht. Der einzige Friedhof des Kirchspiels war ebenfalls in Gehlenbeck. Das empfand man schon lange als eine große Last. Darum legten sich die Frotheimer schon zu Beginn des vorigen Jahrhunderts einen eigenen Friedhof an. Um dort aber beerdigen zu können, brauchten sie einen gottesdienstlichen Raum; denn nach der damaligen Beerdigungsordnung fand der Trauergottesdienst unmittelbar nach der Beisetzung statt. Wenn also in Frotheim Beerdigungen stattfinden sollten, musste als Ersatz für eine Kirche wenigstens eine „Klus“ erbaut werden. Selbst die Errichtung dieses schlichten Fachwerkbaus ist den Frotheimern im Jahr 1818 nicht leicht gefallen.

Die allgemeine Armut

An den Bau einer eigenen Kirche dachte niemand, denn es herrschte überall, nicht nur in unserer Gemeinde, große Armut, weil seit Beginn des vergangenen Jahrhunderts ganz Europa unter den Eroberung kriegen Napoleons zu leiden hatte. Auch unsere Heimat war von den Franzosen besetzt. Es gehörte zusammen mit Hessen und großen Teilen Niedersachsens zu dem französischen Königreich Westfalen, das von dem König Jerome, dem Bruder Napoleons, regiert wurde. Die Hauptstadt dieses neugebildeten französischen Königreichs Westfalen war Kassel. Daran erinnert eine Redewendung, die wir auch heute noch manchmal gebrauchen. Wir sagen im Scherz: „ab mit dir nach Kassel“. Das war in jener Zeit das Schlimmste, was einem jungen Mann passieren konnte, denn „ab nach Kassel“ bedeutete: ab zur französischen Armee, um als Soldat für den Ruhm Napoleons auf den weiteren Schlachtfeldern Europas zu kämpfen und zu sterben. Eine große Last bereitetem die hier einquartierten Truppenteile der französischen Armee. Nach damaligem Recht mussten sie von ihrem Quartiersleuten verpflegt werden. Immer wieder wird die Klage laut, dass die fremden Soldaten so hohe Ansprüche stellen. Sie verlangten, dass ihnen nur die besten Speisen vorgesetzt würden. So manche Hausfrau wusste oft nicht, woher sie das nehmen sollte, was die Fremden verlangten. Mit Grausen dachten sie an die Zukunft, denn womit sollte sie die Ihren versorgen, wenn die Fremden alles verzehrt hatten. Hinzu kamen die großen Kriegssteuern, die den Gemeinden aufgelegt waren. Als im Jahre 1815 endlich der Friede zu Wien diesen Krieg beendete, war unser Land völlig verarmt.
Doch es sollte noch schlimmer kommen. Bei den meisten Besitzungen in unserer Gemeinde reichten die Ackerflächen nicht mehr aus, um davon leben zu können. Man brauchte einen Nebenverdienst. Den brachte der Anbau von Flachs und seine Verarbeitung zu feinem Garn und zu gutem Leinen. Seit etwa 1840 macht sich auch in unserer Gegend die Erfindung der Spinnereimaschinen und der mechanischen Webstühle bemerkbar. Diese Maschinen konnten viel zu feiner spinnen, als die besten Spinnerinnen, und viel schneller weben, als die alten Handwebstühle. Auch war die eingeführte Baumwolle viel billiger, als der heimische Flachs.So war es mit dem guten Nebenverdienst vorbei. In den Jahren von 1840-1850 gibt es dann noch mehrere Missernten, so dass eine große Hungersnot hier einkehrt. Viele Gemeindeglieder sind damals nach Amerika ausgewandert ( – eine langsame Besserung dieser Notlage trat erst ein, als gegen Ende des vorigen Jahrhunderts die Zigarrenindustrie bei uns heimisch wurde). Niemand wird bei diesen schlechten Verhältnissen daran gedacht haben, eine neue Kirche zu erbauen.

Der Rationalismus als vorherrschende geistige Strömung

Es stand auch zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts mit dem kirchlichen Leben nicht eben gut. Unter den Gebildeten, zu denen sich auch die meisten Pfarrer rechneten, war in der damaligen Zeit eine geistige Richtung verbreitet, die man mit einem Fremdwort „Rationalismus“ nennt. Dieses Wort stammt von dem lateinischen Wort „ratio“, zu deutsch: Vernunft. Nach der Auffassung ihrer Anhänger, war nur gültig, was der Vernunft, dem gesunden Menschenverstand entsprach. Alle Aussagen der Bibel oder des Glaubensbekenntnisses, die nicht mit der Vernunft übereinstimmten, wurden für ungültig erklärt. Die Vernunft setzt der göttlichen Offenbarung Maß und Grenze. Darum konnten die Vertreter des Rationalismus mit der Auferstehung Jesu, mit der Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnade, mit der Erlösung des Menschen durch Christi Kreuzesopfer nichts anfangen. Besonders Jesu Wunder machte Ihnen große Schwierigkeiten. Wie sollte ein rationalistischer Pfarrer am Sonntag predigen, wenn eine Wundergeschichte im Predigtplan stand? In einer Gemeinde unserer Umgebung, so hat man mir glaubhaft erzählt, soll ein Pastor am Sonntag Laetare (im dritten Sonntag vor Ostern) über die Geschichte von der Speisung der 5000 Mann etwa folgende Ausführungen gemacht haben: „Wenn hier zu lesen ist: ‚es war aber allda viel Gras‘ dann seht ihr, wie nützlich es ist, jetzt im Frühjahr die Wiesen richtig zu bearbeiten.“ Und dann kamen lauter praktische Anweisungen, wie man die Wiesen richtig zu bearbeiten hätte. Von einer anderen Gemeinde wird berichtet, dass man in einer Predigt über die Weihnachtsgeschichte davon hören konnte, wie vorteilhaft die Ernährung des Viehbestandes sei. Es ist klar, dass solche Predigten die Herzen kalt ließen, den Trauernden keinen Trost gaben und die Verirrten und Verzweifelten ohne Hilfe ließen. Der Besuch der Gottesdienste ließ mehr und mehr nach und das kirchliche Leben drohte zu verlöschen. Was braucht man da noch eine Kirche?

Das „Conventikelwesen“ – die Kraft des einfachen Glaubens

Doch war der alte Glaube nicht ganz ausgestorben. Es gab in unserem Kirchspiel und auch in unserer Nachbarschaft noch Gemeindeglieder, die diesem neuen Unglauben nicht erlegen waren. Wie hatten sie über die vielen Jahrzehnten, in denen von der Kanzel der Vernunftglaube verkündigt wurde, in ihrem Glauben fest bleiben können? Sie hatten sich zu „Versammlungen“ zusammengeschlossen. Am Sonntag Nachmittag oder an einem Abend in der Woche versammelten sich Gläubige Christen in einem Privathaus. Sie begannen ihre Zusammenkünfte mit einem Kirchenlied, dann wurde eine Predigt aus einem Predigtbuch (etwa von Luther) vorgelesen und besprochen. Anschließend wurde von einem oder mehreren gebetet und mit einem Schlusslied endete diese Versammlung. Auf diese Art und Weise haben viele trotz des Rationalismus auf den Kanzeln ihren Glauben halten können.Für den rationalistischen Pfarrer waren diese, wie Sie sagten, „außerkirchlichen Versammlungen“ ein Ärgernis und sie gingen gegen sie mit Polizeigewalt vor. Es gab polizeiliche Vernehmungen und auch oft empfindliche Geldstrafen. Dieser Zustand erscheint uns heute unverständlich. Um das zu verstehen, muss an drei Tatsachen erinnert werden, die heute ganz anders sind:

  1. Unsere Kirchengemeinde gehörte zum Königreich Preußen, an dessen Spitze der König in Berlin stand. Dieser hatte sein Land in Provinzen eingeteilt, die wiederum in verschiedene Regierungsbezirke unterteilt waren. Wir gehören zur Provinz Westfalen und zum Regierungsbezirk Minden.
  2. Alle Kirchengemeinden Preußens zusammen bildeten die preußische Landeskirche, die vom König von Preußen geleitet wurde. Der Pfarrer war damals Staatsbeamter (zum Glück ist er das heute nicht mehr). Als Staatsdiener hatte der Pfarrer dafür zu sorgen, dass in seiner Kirchengemeinde alle gesetzlichen und polizeilichen Verordnungen genau befolgt wurden.
  3. Der Staat aber hatte strenge Vorschriften erlassen, die alle Versammlungen, gleich welcher Art, verboten, weil man große Angst vor einer Revolution hatte. Jede Versammlung, so meinte man bei der Regierung, konnte zur Vorbereitung einer solchen Revolution benutzt werden. Darum brauchte man der Polizei nur eine solche „außerkirchliche Versammlung“ zu melden. Dann schritt sie sofort dagegen ein.

Wie das zuging, hat Pastor Johann Heinrich Volkening (der große Erweckungsprediger Minden-Ravensbergs) aus seiner Jugend erzählt. Die Familie Volkening aus dem benachbarten Hille hielt sich auch zu den „Versammlungen“. An einem Sonntag machte sich der Vater Volkening auf, um die Versammlung in Blasheim zu besuchen, und nahm den kleinen Heinrich mit. Als sie dann am Abend nach Hause gehen wollten, wurden sie vom Ortspolizisten, der vom dortigen Pastor benachrichtigt war, verhaftet und ohne Erbarmen wie Verbrecher für die Nacht ins Spritzenhaus eingesperrt. Am anderen Morgen erhielten sie einen strengen Verweis und konnten dann nach Hause gehen.

Das Wirken des Hilfspredigers Müller in Gehlenbeck

In unserem Kirchspiel war die Lage für die „Versammlungen“ wesentlich besser, weil Pastor Redeker, von 1828-1859 in Gehlenbeck, jenen Gemeindegliedern, die zu den Versammlungen gingen, sehr wohlgesonnen war. Da ihm die Arbeit in der großen Kirchengemeinde Gehlenbeck mit ihren fünf Dörfern zu viel wurde, erhielt er im Jahre 1838 zu seiner Unterstützung einen Hilfsprediger, Florenz August Müller, der ganz auf der Seite der Versammlungen stand. Dieser „predigt die Grundlehren unseres Bekenntnisses so zuversichtlich und so eindringlich, so populär, dass man ebenso den Eindruck, den seine Vorträge auf das Volk machen, wie die großen Wirkungen, die sie hervorgerufen haben, begreift. Da ist nicht Beredsamkeit, aber Kraft, Einfalt und Wahrheit.“ (So heißt es in einem Bericht des Präses Jacobi von 1842 über ihn). Zu den Gottesdiensten dieses jungen Pastors strömten die Leute am Sonntag nach Gehlenbeck, nicht nur die einheimischen, sondern auch auswärtige aus dem umliegenden Gemeinden. Daher war die Kirche in Gehlenbeck stets überfüllt. Häufig genug fand der Inhaber eines Kirchensitzes seinen Platz, den er nach damaliger Kirchenordnung gekauft hatte, von einem auswärtigen schon besetzt, wenn er zum Gottesdienst kam. Durch die Predigten vom Pastor Müller angeregt, nahm die Zahl der Versammlungsteilnehmer stark zu. Denen, die von dieser Botschaft ergriffen waren, war es nicht genug, nur einmal in der Woche die Botschaft von der Errettung aus ihren Sünden in der Kirche zu hören. Sie kamen auch am Sonntag vor und nach dem Gottesdienst, oder am Abend eines Wochentages in den Häusern zusammen, um sich gegenseitig im Glauben zu bestärken, dass nicht unser eigenes Tun und unsere eigene Vortrefflichkeit, sondern allein Christi Gnade uns aus unseren Sünden retten kann. „Der Grund, da ich mich gründe, ist Christus und sein Blut“: das wollten Sie sich immer neu bezeugen und sich gegenseitig ermuntern, Gott dafür zu danken, dass er so große Dinge an ihnen getan habe. Zugleich verfolgten sie noch ein missionarisches Ziel. Sie wollten die, die noch abseits standen für den Glauben an den Sündenheiland Jesus gewinnen. Darum beteten sie in Ihrem Versammlungen laut für die Bekehrung derer, die noch abseits standen. Dieses Verhalten fand nicht bei allen Gemeindegliedern Zustimmung und Anerkennung. Viele empörten sich gegen den Bekehrungseifer der Versammlungsleute. Man warf ihnen vor, dass sie hochmütig auf die herabsähen, die nicht an ihren Versammlungen teilnähmen. Auch dem Pastor Müller wurde vorgeworfen, dass er mit seiner Schroffheit, mit der er die Bekehrung forderte, die Leute vor den Kopf stoßen.Wie viele dieser Vorwürfe berechtigt waren, lässt sich nicht mehr genau feststellen. Es mutet uns aber doch sehr merkwürdig an, wenn auch von Kindererweckung in unserer Gemeinde berichtet wird und wenn die erweckten Kinder dann mit den nicht Erweckten nicht mehr auf einer Schulbank sitzen wollten. Bei diesen Vorkommnissen gilt wohl das Wort des großen Erweckungspredigers Volkening: „Wo Wuchs ist, da ist auch Auswuchs.“
Zu Beginn des Jahres 1840 kam der Konflikt in unserer Kirchengemeinde zum offenen Ausbruch. Am Neujahrstag war die Zahl der Gottesdienstbesucher größer denn je. Pastor Müller wies die Konfirmanden an, ihre Plätze den auswärtigen Besuchern zur Verfügung zu stellen. Als einige von ihnen sich weigerten, dies zu tun, wurden sie unter Aufsicht des Lehrers in die Sakristei eingesperrt. Unter diesen Konfirmanden befand sich auch der Sohn des Ortsvorstehers aus Frotheim, eines erbitterten Gegners der „Versammlungen“. Dieser beschritt den Weg der Beschwerde beim Superintendenten und bei der Regierung in Minden. Bei der Regierung in Minden lagen schon mehrere Beschwerden gegen die „Versammlungen“, aber auch Beschwerden von Mitgliedern der „Versammlungen“ gegen die Polizeiaktionen vor. Die Regierung war darum genötigt, diese ganzen Angelegenheiten der „Versammlungen“, die sie Conventikel nannte, gründlich zu untersuchen. Deshalb beauftragte sie den Landrat des Kreises Lübbecke, die Leiter der Conventikel und ihre Gegner zu vernehmen. Aus diesen Vernehmungen des Landrats fertigte die Regierung in Minden einen umfangreichen Bericht über ‚das Conventikelwesen im Kreise Lübbecke‘ an, den sie am 24. Oktober 1841 an das Ministerium für geistige Angelegenheiten in Berlin sandte. Am Ende kommt dieser Bericht zu folgendem Schluss: „Nach unserer Ansicht kann die Angelegenheit sich nicht selbst überlassen bleiben. Es ist vielmehr zur Vergütung größerer Übel ein Einschreiten des Staates nötig.“ Deshalb bittet die Regierung um die Erlaubnis, mit polizeilichen Maßnahmen gegen die Conventikel vorgehen zu dürfen.
Doch das Ministerium teilte die Auffassung der Regierung in Minden gar nicht. Es machte deutlich, dass die Untersuchung über das Conventikelwesen keine Angelegenheit polizeilicher Vernehmungen sei. Da es eine kirchliche Angelegenheit sei, müsse die ganze Angelegenheit noch einmal durch kirchliche Stellen untersucht werden. Zu diesem Zwecke beauftragte das Ministerium am 24. Januar 1842 den Präses der westfälischen Provinzialsynode, den Pastor Jacobi aus Petershagen mit der erneuten Untersuchung dieser Angelegenheit. Dieser machte sich sofort an die Untersuchungen und hatte in zwei Monaten seinen Bericht schon abgeschlossen. Dabei kam ihm zugute, dass er die Verhältnisse im Kreise der Brücke genau kannte. Wenn man seinen Bericht liest, spürt man, wie sachlich und nüchtern er urteilt, wie gründlich er allen Anschuldigungen und Verdächtigungen nachgeht und wie klar er die angetroffenen Zustände darstellen kann. Einwandfrei wies er nach, dass die Versammlungsleute gute Christen und treue Anhänger der Kirche waren. Übertreibungen bei den Versammlungen hat er zurechtgerückt, schwärmerische Auswüchse kritisiert und abzustellen versucht. Sein Bericht hat dafür gesorgt, dass die „außerkirchlichen Versammlungen“ in das Leben der Kirchengemeinde eingegliedert wurden.
Wie sehr ihm das gelungen ist, erkennen wir an der Tatsache, dass aus den Mitgliedern der Conventikel die ersten Missionare kamen, die von der Rheinischen Missionsgesellschaft in Wuppertal ausgesandt wurden. Aus den Conventikeln kamen die Diakone und Diakonissen. Ihre Mitglieder bildeten die ersten Jungmänner-Vereine und Posaunenchöre. Ein Gemeindeleben ohne die Vorarbeit dieser Conventikel können wir uns gar nicht mehr vorstellen. Um die erhitzten Gemüter zu beruhigen, waren auch einige personelle Umbesetzungen in der Pfarrerschaft nötig. Der Superintendent unseres Kirchenkreises, der die Conventikel haste, wurde nicht wieder als Superintendent gewählt. Der Hilfsprediger Müller aus Gehlenbeck wurde 1843 nach Gütersloh versetzt. 16 Jahre später, im Jahre 1859, kehrte er als gereifter Seelsorger nach Gehlenbeck zurück und hat in großem Segen bis 1888 wirken können.

Die Vision des Karl Niermann von der Kirche in Isenstedt

Beim Lesen der alten Akten stieß ich sowohl in dem Bericht der Regierung von 1841 als auch in dem Bericht des Präses Jacobi von 1842 immer wieder auf die Wirksamkeit des Karl Niermann, über den in unserer Gemeinde viel erzählt worden ist. Nach den Erzählungen unserer Alten soll er von den Bauern Butter und Eier übernommen und sie in seiner großen Kiepe nach Minden auf den Markt gebracht haben, um sie dort zu verkaufen. Berühmt wird an ihm seine Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit. Dazu hat mir ein alter Mann, der 1857 geboren worden war, folgende Begebenheit erzählt: Wenn Niermann in Minden für seine Produkte mehr, als erwartet, bekommen habe so habe er diesen Gewinn seinen Lieferanten voll ausgezahlt. Zwei seiner Berufskollegen ging diese Ehrlichkeit einfach zu weit. Um ihm das abzugewöhnen, lauerten sie ihm an einer einsamen Stelle auf und wollten ihn gründlich verprügeln. Niermann setzte sich weder zur Wehr, noch versuchte er zu fliehen, sondern trat ihnen furchtlos entgegen. Er forderte sie auf, doch auf ihn einzuschlagen. Dabei sagte er dem einen auf den Kopf zu, dass er innerhalb der nächsten beiden Jahre sterben würde, und dem anderen kündigte er an dass er im Alter eine Rückgratverkrümmung bekommen werde. Beide Voraussagen seien eingetroffen.Die Unerschrockenheit des alten Niermann aber habe die Bösewichte so beeindruckt, dass sie von ihrem Vorhaben abschließen und schleunigst das Weite suchten. Was sagen die Berichte über ihn aus? In dem Bericht die Regierung von 1841 steht: ‚Über seinen Charakter verlautet nichts Nachteiliges‘. Also auch seine vielen Gegner haben Ihnen keine Vergehen unterschieben können. Was man aber an ihm zu kritisieren hatte, geht aus dem Folgenden hervor: ‚der Häusler Niermann leitet nicht nur an seinem Wohnort, sondern in vielen Nachbargemeinden die fraglichen Zusammenkünfte. Er ist unermüdlich in seinen Bestrebungen, denselben Teilnehmer und Anhänger zu verschaffen, wirkt deshalb auf die einzelnen, namentlich auf Kranke ein, die er noch bekehren will, und widmet seine ganze Zeit teils solchen Bekehrungszwecken, teils Conventikelwesen. Er erzählt, wie zuerst am 22. Dezember 1838 der Herr sich ihnen offenbart habe! Es wird dann noch von einigen Erscheinungen berichtet, bei denen der Herr ihm erschienen sein. Auch der Bericht des Präses Jacobi erwähnt ihn an verschiedenen Stellen und nennt ihn einen Visionär, das heißt einen Mann, der Erscheinungen hat. Was Niermann nach 1842 weiter erlebt hat, ist aus den amtlichen Unterlagen nicht mehr zu ermitteln. Nach den Erzählungen soll er um 1850 mit seinen Verwandten nach Amerika ausgewandert sein. Leider sind die Akten über die Vernehmung Niermanns in Lübbecke nicht mehr aufzufinden. Ob darin noch mehr Visionen aufgeführt waren, als der Bericht der Regierung übernommen hat? So viel wird aber aus den Berichten deutlich: Karl Niermann leitete verschiedene Conventikel und das mit ausdrücklicher Billigung von Pastor Redeker in Gehlenbeck.Wenn Jacobi ihn einen Visionär nennt, so rückt er ihn damit in die Reihe der Männer und Frauen ein, die es in unserer Kirche immer wieder gegeben hat. Es waren Menschen, die sich ganz innig mit dem Herrn Jesus verbunden fühlten, die sich vor allen Dingen immer wieder in seinen Leitern und Sterben versenkt haben. So kommt es aus dem Verlangen, das zu schauen, was sie glauben, zu einer solchen Vision. Vorgezeichnet sind diese Erscheinungen in der Offenbarung des Johannes, wo auch vom kommenden Herrn, vom Erstarken des Unglaubens und von der Schlacht bei Harmagedon (Offenbarung 16,16) berichtet wird. So soll Niermann gerade von dieser letzten Schlacht viel erzählt haben.In diesen Zusammenhang gehören auch seine Visionen über unsere Kirche in Isenstedt. Es wird erzählt: in den Jahren zwischen 1840 und 1850 habe Niermann an der Stelle, an der unsere Kirche jetzt steht Orgelklang und Gemeindegesang gehört und die neue Kirche gesehen. Diese Kirche sollte dann in der letzten großen Schlacht bei Harmagedon zum Lazarett werden. Nichts, aber auch gar nichts deutete damals darauf hin, dass diese Visionen in Erfüllung gehen, denn an der Stelle, die Niermann bezeichnete und an der jetzt unsere Kirche steht, war ein Teich, indem man die Schafe vor der Schur gewaschen hat.

Er soll auch über die Pfarrer, die an dieser Kirche tätig sein würden, Einzelheiten mitgeteilt haben. So habe er gesagt, dass der erste Pfarrer nur einige Jahre bleiben würde, der zweite würde lange bleiben und manche Prozesse führen.

Beide Voraussagen sind eingetroffen. Aber schon die Überlieferung seiner Aussagen über den dritten Pfarrer unserer Gemeinde sind nicht genau zu ermitteln. Hat er nun gesagt: „mit dem dritten Pfarrer kommt (das heißt in unserer Gemeinde) der Unglaube auf die Kanzel.“ Oder: „mit dem drittem Pfarrer kommt der Unglaube auf die Kanzel“ (d.h. während der Amtszeit des dritten Pfarrers unserer Gemeinde wird auf manchen Kanzeln der Unglaube gepredigt werden).

Nun: in unserer Gemeinde ist der Unglaube bei dem dritten Pfarrer (meinem Vorgänger, Pastor Johannes Reinecke) nicht auf die Kanzel unserer Kirche gekommen; aber an vielen Orten kam der Unglaube auf die Kanzel, weil Pfarrer nicht mehr das Evangelium, sondern die Ideologie des Nationalismus von der Kanzel herab verkündigten.

Zusammenfassend können wir feststellen: wenn auch geistliches Leben neu erblüht war, wenn auch diese Prophezeiung des alten Niermann vorlag, so hat kaum jemand an ihre Erfüllung in nächster Zeit gedacht. Da erhielten Isenstedt und Frotheim ein Geschenk, wovon zu träumen niemand gewagt hatte: Wie es zum Bau der Kirche kam …